Neunundzwanzig Zentimeter Liebe
Ein typischer deutscher Februar.
Die Sonne verborgen in dichtem Nebel und die Kälte scheint einem bis in die Knochen zu kriechen. An solch einem depressiven Februar schleichen sich unerwartet sanft und zärtlich neunundzwanzig Zentimeter Obdachlosigkeit in mein Herz – aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Ein paar Tage zuvor meldet sich mein Sohn Nico, der damals in einer WG wohnte, mit Dringlichkeitsstufe „SOS“ bei mir und teilt mir mit, dass ein Mitbewohner drei obdachlose Kiddis sprichwörtlich im letzten Moment vor dem Erfrieren gerettet hat. Zwei waren schon untergebracht und für das Dritten suchen sie noch eine Übergangsbleibe, da einer der Auflagen in der WG einem bestimmten Verbot entsprach. Derjenige, der das dritte Kiddi behalten will, steht kurz vor dem Auszug in seine eigene Wohnung und so sucht man händeringend nach einer Zwischenlösung.
Also habe ich der Aktion unter der Voraussetzung zugesagt, dass dies nicht von mir abhängt, sondern davon, wie meine zwei Katzendamen damit zurecht kommen. Am selben Tag zieht der kleine Mann dann bei mir ein.
Vor mir steht ein kleiner Karton und zu sehen ist vor allem eines: ein riesiger Ballen Heu der zu leben scheint und quiekende Geräusche von sich gibt. Vorsichtig wühle ich darin bis ich flauschiges Fell in meinen Händen fühle und ziehe langsam ein zitterndes, zähneklapperndes Etwas aus dem Heu hervor. Mein Herz wird wieder mal butterweich und ehe ich mich versehe, ist es auch schon passiert. Zwei glänzende dunkle Knopfaugen scheinen bis in mein Herz zu blicken….
Ich nehme das junge Meerschweinchen hoch, setzte es an meinen Hals und schon versteckt er sich in meinem Haar, das die gleiche Farbe hat wie sein Fell.
Ein Blondy – wie ich!
Er fängt an zu gurren wie eine Taube, sein Herz pocht rasend schnell.
Keine zwei Minuten später ist kein Zähneklappern mehr zu hören. Das Zittern stoppt und wohlig schmiegt er sich an mich. Vom ungewöhnlichen Gurrgeräusch angelockt, tauchen meine Katzendamen auf, um zu sehen was hier los ist.
An erster Stelle natürlich meine Hexe.
Die Königin der Eifersucht.
Die ungekrönte Herrin meines Zuhauses und ihr Blick spricht Bände. Schnell kläre ich mit meinen edlen Damen, dass das ein neuer Freund ist der vorübergehen hier wohnt, weder Beute noch Spielzeug ist und weise beide sehr ernst und bestimmt darauf hin, dass ihr Futter nach wie vor aus der Dose kommt.
Zwei Stunden später kommt mein Sohn von seiner Mission Meerschweinchenkäfig erfolgreich zurück und mir zieht es das Herz zusammen mit dem Blick auf das runtergekommene Draht-Plastikgehäuse, das die Bezeichnung „Käfig“ gar nicht verdient hat. Die nächste Übergangslösung…. Für mich ist es ja schon bitter genug, Tiere in Käfige zu sperren. Damit habe ich grundsätzlich ein ganz großes Problem. Aber dieses Gestell ist einfach nur grausam.
Vier Wochen später hat der kleine Blondy sich schon so bei uns eingelebt, als ob es nie anders war. Sechs Wochen später hört er auf seinen Namen Sternschnuppe und ist immer noch hier. Acht Wochen später ist Sternschnuppe stubenrein, total verliebt in die Hexe und besitzt nun eine traumhaft schöne Holzvilla mit Terrasse. Die Katzendamen besuchen ihn regelmäßig in seinem Zuhause und alle schlafen zusammen im Heu…
Ausgezogen ist er nicht mehr und als ich mein erstes Buch schreibe, sitzt er oft auf meiner Schulter, wühlt mit seiner samtweichen Schnauze unter mein Haar am Hals und ist zu einem stolzen Meeri-Mann herangewachsen.
Sternschnuppe, neunundzwanzig Zentimeter pure, reine Liebe und immer wenn ich an Dich denke, erfüllt sich mein Herz mit all der Liebe, die Du mir gegeben hast – ich vermisse Dich sehr!
Copyright: C. Navarro